Nicht in Unterhosen zum anständigen Buchhändler

Wenn’s um „Shades of Grey“ von E. L. James oder „Feuchtgebiete“ von Charlotte Ropche ging, da waren die Buchhändler (mal von Weltbild abgesehen) gar nicht prüde. Aber wenn’s um ein Sachbuch geht, dann sind sie’s scheinbar doch. Beim Anblick einer leeren Männerunterhose mit leichter Ausbeulung auf dem Buchcover waren die Buchhändler, schlicht „schockiert“, wie der Harvard Business manager genüßlich beschreibt. Dabei wollte die deutsche Tochter von Wiley nur das Buch des Autors Scott Berkun über seinen Job beim WordPress-Anbieter Automattic passend zum Titel „Mein Jahr ohne Hosen“ illustrieren – was übrigens in den angeblich so prüden USA überhaupt kein Thema war.

Ohne Hosen Wiley Verlag

Aber der Verlag hatte die Rechnung ohne die Buchhändler gemacht: „Doch als die Verlagsvorschau verschickt war und die Vertreter in den Buchhandlungen vorsprachen, hagelte es Kritik an der Covergestaltung: ‚Die Buchhändler fanden den Titel unanständig‘, berichtet Katja Tenkoul aus dem Marketing des Verlags. Das Unterhosenmotiv und die Zeile ‚Arbeiten für das Unternehmen von morgen‘, so hätten sie moniert, stünden in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches. ‚Das war ein richtiger kleiner Aufstand.‘ „, schreibt Britta Domke im Blog des Harvard Business manager“.

Kleiner aufstand, große Wirkung: Der Verlag blieb mutig bei der Titelgrafik, legt aber eine Banderole (Schutzhülle!) mit einer abgebildeten Jeans über die so skandalöse leere Unterhose …

Ach ja, damit das nicht zu kurz kommt: „Scott Berkun hat ein Jahr lang ein virtuelles, innovatives Team bei Automattic geleitet und dabei eine Arbeitswelt kennengelernt, die seinen bisherigen Erfahrungen völlig widersprach. In „Mein Jahr ohne Hosen“ schildert er dieses spannende Experiment.“, heißt es im Klappentext des Verlages.

Bain-Studie: Wo digitale und physische Geschäftsmodelle zusammenwachsen

Wenn’s um Innovation und Geschäftsmodelle gehet, sind wir jetzt um ein Schlagwort weiter: „Die Zukunft der Wirtschaft ist nicht digital, sondern ‚digical'“, schreibt die Unternehmensberatung Bain & Company als Fazit ihrer Studie „Leading a Digical Transformation“. Denn: Digitale und physische (physical) Geschäftsmodelle wachsen zusammen und zwingen Unternehmen in nahezu allen Branchen in den nächsten zehn Jahren zu weitreichenden Veränderungen. Die Analyse erläutert anhand zahlreicher Beispiele von Pionieren der „Digicalisierung“ die Chancen und Marktpotenziale einer vernetzten Online- und Offlinewelt.Weitere wichtige Ergebnisse des internationalen Beratungshauses:

  • Das Zusammenwachsen digitaler und analoger Geschäftsmodelle verändert bis 2025 nahezu jede Branche von Grund auf
  • Noch stehen fast 80 Prozent der Unternehmen am Anfang einer unausweichlichen, tief greifenden Transformation
  • In immer mehr Branchen drohen digitale Geschäftsmodelle ihre analogen Vorgänger vom Markt zu drängen.

Bain hat für seine Analyse die Entwicklung von rund 300 Unternehmen aus verschiedenen Branchen analysiert und zahlreiche Interviews mit Führungskräften geführt – und kommt zu einem anderen Ergebnis: Die Zukunft ist digical! Erfolgreiche Unternehmen nutzen digitale Ansätze, um ihre physischen Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, und schafften so eine gute Basis für ein anhaltend profitables Wachstum in den kommenden Jahren, so die Pressemitteilung. „Wir stehen erst am Anfang“, wird Bain-Deutschlandchef Walter Sinn zitiert. „Noch hat die Digitalisierung nur wenige Branchen wie die Medien oder die Telekommunikation mit voller Wucht erfasst. Aber in zehn Jahren wird die Welt ganz anders aussehen.“ Ob Automobil- oder Pharmaindustrie, ob Finanzdienstleister oder Maschinenbau – überall zwingten neue Technologien und ein verändertes Kundenverhalten Unternehmen zum Handeln.

Bain-Studie: Digicaler-Wandel

 

Ein Trend befeuere dieseTransformation unaufhaltsam: das „Internet der Dinge“, die Möglichkeit, alle Arten von Geräten miteinander zu vernetzen. Durch die Integration dieser Technologien können Hersteller ihr analoges Angebot verbessern und den Kundennutzen steigern. Angesichts der Vorteile für den Kunden und seine Bedürfnisse werden sich umgekehrt aber auch viele, bislang rein digitale Geschäftsmodelle für die analoge Welt öffnen. Erste E-Commerce-Anbieter gingen bereits diesen Weg und präsentieren ihr Sortiment in stationären Einkaufsstätten. Resignation ist daher laut Bain nicht angebracht: „Viele etablierte Industrieunternehmen und Dienstleister haben derzeit das Gefühl, im Zuge des rasanten technologischen Wandels ins Hintertreffen zu geraten“, so Sinn in der Pressemitteilung. „Sie übersehen dabei die Stärken und das Potenzial ihres Kerngeschäfts. Dieses allerdings müssen sie konsequent weiterentwickeln und gleichzeitig die neuen technischen Möglichkeiten integrieren.“

Die Bain-Studie (Englisch, Download PDF) erläutert, wie es Unternehmen gelingen kann, eigene Digical-Geschäftsstrategien zu entwickeln. Am Beginn steht die Analyse der eigenen Branche und der Beantwortung der Frage, wie schnell und wie stark es hier zu Veränderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette kommen wird. Selbst in bereits weitgehend digitalisierten Branchen wie der Musikindustrie sind wichtige Teile dieser Kette, beispielsweise das Konzert- und Lizenzgeschäft, weitgehend unverändert geblieben, so die Studie von Bain & Company. Der Umbruch habe hier vor allem den Verkauf von Musiktiteln an Endkunden betroffen. Wer dann die besonders gefährdeten Teile seiner Wertschöpfungskette identifiziert habe, der könne eine passende Strategie erarbeiten. Für die meisten Unternehmen gibt es dabei noch viel zu tun. So hat die Bain-Analyse der rund 300 Unternehmen ergeben, dass sich diese zwar durchgängig der bevorstehenden Umwälzungen bewusst sind, fast 80 Prozent aber bei der Anpassung ihres Geschäftsmodells noch am Anfang stehen. Typischerweise durchlaufen Unternehmen danach drei Phasen – vom Anfänger bis hin zum Experten – und schaffen es dann Schritt für Schritt, vom Getriebenen zum Treiber der „Digicalisierung“ zu werden

Nächste-Schritte Digicaler Wandel Bain-Studie

 

Eine besondere Herausforderung auf diesem Weg ist die Festlegung der Veränderungsgeschwindigkeit. „Die Unternehmen wollen natürlich rasche Fortschritte erzielen“, erläutert der deutsche Bain-Chef Walter Sinn. „Doch am Ende entscheidet der Kunde über den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz neuer Technologien.“ Teilweise sei es sinnvoll, Innovationen vorsichtig am Markt einzuführen. So praktiziere es etwa die Automobilindustrie: Innovationsführer wie Audi und Mercedes-Benz hätten Technologien rund um das fahrerlose Auto bereits weit vorangetrieben, doch das Gros der Kunden vertraue noch mehr auf die eigenen Fahrkünste. Die Integration digitaler Technologien in ein physisches Produkt wie ein Auto verdeutliche, was der Begriff „digical“ im Kern bedeute, so Bain: die Verschmelzung zweier Welten. Noch stelle sich nur eine Minderheit der Unternehmen konsequent diesem Paradigmenwechsel. Bain-Deutschlandchef Sinn mahnt indes mit Studie und Pressemitteilung zur Eile.“Die Zukunft ist ohne Frage digical. Wenn Unternehmen das realisieren und ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln, müssen sie den Wettbewerb der Zukunft nicht scheuen. Jetzt aber gilt es zu handeln und eine umfassende Transformation anzugehen.“